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Digitale Souveränität – zwischen Autarkie, Fremdbestimmung und Gestaltungsfreiheit

Erfahren Sie, was digitale Souveränität bedeutet und mit welchen Strategien Organisationen ihre digitale Unabhängigkeit stärken können.
29. April 2025
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Niels Winkler

Principal Consultant

Der Begriff „Digitale Souveränität“ ist aktuell in aller Munde und damit zu einem absoluten Trendbegriff in der Digitalpolitik und in der IT-Branche mutiert. Dabei ist die zugrundeliegende Definition keineswegs neu:  Bereits 2015 wurde im Rahmen des nationalen IT-Gipfels eine Begriffsbestimmung erarbeitet.

Um zu verstehen, weshalb das Thema Bestandteil zahlreicher aktueller Diskussionen ist, lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und zu klären, was digitale Souveränität eigentlich bedeutet und wie sie sich von verwandten Konzepten wie Autarkie oder Fremdbestimmung unterscheidet.

Zur Einordnung hilft zunächst ein Blick auf die klassische Bedeutung des aus dem Französisch stammenden Begriffs Souveränität, wie sie im Fremdwörterbuch des Dudens zu finden ist. Dort heißt es:

„die höchste Herrschaftsgewalt eines Staates, Hoheitsgewalt; Unabhängigkeit (vom Einfluss anderer Staaten).“
Und „Überlegenheit.“.

Demnach war die Idee von Souveränität also ursprünglich auf einen Staat bezogen. Diese Definition lässt sich auf die digitale Welt übertragen: als Anspruch auf Gestaltungsfreiheit, Selbstbestimmung und Kontrolle im Umgang mit digitalen Technologien.

Was den Begriff „Digitale Souveränität“ angeht, existieren unterschiedliche, teilweise sogar widersprüchliche Definitionen. Sehr häufig wird der Ursprung mit dem Ergebnisdokument der Fokusgruppe 1 “Digitale Souveränität“ der Plattform „Innovative Digitalisierung der Wirtschaft“ des nationalen IT-Gipfels 2015 in Verbindung gebracht:

„Digitale Souveränität ist die Fähigkeit von Individuen, Organisationen oder Staaten, im digitalen Raum selbstbestimmt, sicher und handlungsfähig zu agieren.“

Dabei geht es also nicht um völlige Unabhängigkeit von Technologien, Anbietern oder Staaten, sondern um die Kompetenz und Möglichkeit, digitale Systeme bewusst auszuwählen, zu steuern, zu kontrollieren und bei Bedarf zu wechseln.

Digitale Souveränität wird dennoch häufig mit vollständiger technologischer Unabhängigkeit – also Autarkie – verwechselt. Doch zwischen Fremdbestimmung und Autarkie liegt ein gestaltbarer Raum, in dem digitale Souveränität verortet ist.

Ein anschauliches Beispiel liefert eine Analogie aus dem Bereich der Stromerzeugung mit Photovoltaik:

  • Fremdbestimmung:
    Man bezieht seinen gesamten Strom aus dem öffentlichen Netz. Herkunft, Zusammensetzung und Preisgestaltung liegen außerhalb der eigenen Kontrolle. Wenn es zu Ausfällen oder Preissteigerungen kommt, ist man vollständig davon betroffen.
  • Autarkie:
    Man ist komplett vom Netz getrennt und erzeugt seinen gesamten Strom ausschließlich selbst – in diesem Fall, um in der Analogie zu bleiben, mit einer eigenen Photovoltaikanlage und Batteriespeicher. Das funktioniert gut, solange genug Sonne scheint und der Speicher voll ist. Doch wenn über längere Zeit keine Sonne scheint und die gespeicherte Energie aufgebraucht ist, hat man schlichtweg keinen Strom.
  • Souveränität: Man betreibt eine eigene Photovoltaikanlage, nutzt den erzeugten Strom selbst, speichert ihn, speist Überschüsse ins Netz ein und kann bei Bedarf zusätzlich Strom aus dem öffentlichen Netz beziehen. Man kennt seinen Verbrauch, optimiert ihn aktiv und kann jederzeit entscheiden, welche Quelle man nutzt – ob selbst erzeugt, gespeichert oder zugekauft.

Souveränität heißt in diesem Bild also: Ich weiß, wo mein Strom herkommt, kann ihn teilweise selbst erzeugen, bin vorbereitet auf Schwankungen – und behalte jederzeit die Kontrolle über meine Energieversorgung.

Digitale Souveränität bedeutet also nicht, externe Angebote zu meiden, sondern diese reflektiert und eigenverantwortlich zu nutzen – ohne dabei Kontrolle und Entscheidungsfreiheit aufzugeben.

Woran zeigt sich die digitale Souveränität dann also konkret?

Die theoretische Definition gewinnt an Relevanz, wenn sie auf praktische Fragestellungen angewendet wird. Digitale Souveränität zeigt sich insbesondere dort, wo Organisationen oder Einzelpersonen aktiv gestalten und die Kontrolle behalten – zum Beispiel bei folgenden Punkten:

  • Datenhoheit:
    Wo werden Daten gespeichert? Unter welcher Rechtsordnung? Besteht Einfluss auf Speicherorte und Bedingungen der Datenverarbeitung?
  • Zugriffs- und Berechtigungsmanagement:
    Wer hat wann Zugriff auf welche Daten oder Systeme? Ist dies transparent, dokumentiert und steuerbar?
  • Verschlüsselung und Datensicherheit:
    Werden Daten konsequent verschlüsselt, idealerweise clientseitig? Wer hat Zugriff auf die Schlüssel? Ist das Verfahren nachvollziehbar?
  • Nutzen offener Standards:
    Werden offene, dokumentierte Standards eingesetzt, die den Wechsel von Anbietern oder die Integration verschiedener Systeme erleichtern?
  • Interoperabilität:
    Können unterschiedliche Systeme miteinander kommunizieren, Daten austauschen und integriert genutzt werden – ohne Lock-in?
  • Technologische Wahlfreiheit:
    Gibt es Alternativen, die technisch, vertraglich oder organisatorisch zugänglich sind? Oder bin ich vollständig auf ein Produkt oder einen Anbieter fixiert?
  • Know-how und Entscheidungsfähigkeit:
    Habe ich intern oder durch verlässliche Partner genug Kompetenz, um Technologien selbst zu bewerten, zu betreiben oder zu wechseln?
  • Resilienz und Exit-Strategien:
    Gibt es Notfallpläne, Backups und praktikable Wege aus Abhängigkeiten?

Diese Kriterien zeigen: Digitale Souveränität ist kein abstrakter Idealzustand, sondern eine Frage des bewussten Gestaltens.

Fazit: Digitale Souveränität ist bewusste Kontrolle

Digitale Souveränität bedeutet nicht, alles selbst machen zu müssen, sondern in der Lage zu sein, Entscheidungen über digitale Technologien informiert und unabhängig zu treffen.

Wer souverän agiert, kennt seine Abhängigkeiten und weiß, wie sie gestaltet oder beendet werden können. Es geht um Klarheit, Kontrolle und die Freiheit zur Wahl, nicht um ideologische Selbstisolation.

Digitale Souveränität ist keine absolute Unabhängigkeit, sondern die Fähigkeit zur bewussten, kontrollierten Teilhabe an der digitalen Welt.

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